Am Puls der Zeit

Vergangene Woche wurde die stadträtliche Strategie für die flächendeckende Einführung von Tempo 30 kommuniziert. In zwanzig Jahren soll auf den Winterthurer Strassen weitgehend Tempo 30 gelten. Erwartungsgemäss fielen die Reaktionen auf bürgerlicher Seite heftig und zahlreich aus. Doch Tempo 30 ist sinnvoll am Puls der Zeit. Winterthur bewegt sich eben vorwärts.

Sicherheit

  • Autofahrer*innen, die mit 50 unterwegs sind, haben ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Strasse vor sich gerichtet. Bei reduziertem Tempo weitet sich der Fokus aus, man nimmt vermehrt auch wahr, was im gesamten Strassenraum, auf dem Trottoir etc. passiert.
  • Bei sich angleichenden Tempi kommt es weniger zu riskanten Überholmanövern
  • Der Bremsweg bei Tempo 30 ist wesentlich kürzer als bei Tempo 50
  • Bei einer allfälligen Kollision passiert bei Tempo 30 weniger Schlimmes als bei Tempo 50

Lärm

  • Temporeduktionen sind die mit Abstand günstigste und einfachste Massnahme zur Lärmminderung.
  • Die Dezibel-Skala ist nicht linear! Eine Erhöhung des Schallpegels um 3dB entspricht einer Verdoppelung der Schallintensität! Bürgerliche argumentieren fälschlicherweise jeweils mit der vermeintlich geringen dB-Reduktion durch Temporeduktionen.

Verkehrsfluss

  • Die ideale Geschwindigkeit im innerstädtischen Verkehr liegt bei 30-35 km/h. Dieses Tempo führt dazu, dass es zu weniger Beschleunigungen und Abbremsungen kommt, was Stau vermindert. Der Verkehrsfluss ist bei T30 also deutlich besser als bei T50. Der Zeitverlust bewegt sich bei 1-2 Sekunden pro 100m, ist also bei innerstädtischen Distanzen nicht relevant.
  • Die Kapazität einer Strasse nimmt nicht ab durch tiefere Geschwindigkeiten.
  • Zur Erklärung des besseren Verkehrsflusses bei tieferen Geschwindigkeiten ist der Vergleich mit der altmodischen gläsernen Ketchup-Flasche immer wieder gut: Je steiler die Flasche gehalten wird, umso schneller fliesst das Ketchup, staut aber und kommt nicht raus. Wenn man die Flasche weniger steil hält, fliesst das Ketchup etwas langsamer, kommt aber in einem schönen Fluss raus.

Umweltbelastung

  • Die Reduktion der Abgasbelastung durch Tempo 30 ist nicht ganz eindeutig. Hingegen ist die Belastung bei vermehrtem Stopp und Go höher. Insofern ist ein regelmässiger Verkehrsfluss auf jeden Fall besser.

Kaum Verlustzeiten beim ÖV

  • Auch beim ÖV bewegt sich die Verlustzeit bei max. 1-2 Sekunden pro 100m, wobei hier dazu kommt, dass ein Bus heute meistens nicht mit 50 km/h unterwegs ist, aufgrund der Haltestellen und des Verkehrsaufkommens. Viel relevanter für die Fahrplanstabilität ist, dass die Verkehrsknoten gut gesteuert sind und dass der Bus an den Haltestellen gut wieder in den Verkehrsfluss zurückkommt. Das lässt sich durch eine optimierte Lichtsignalsteuerung und durch Fahrbahnhaltestellen erreichen.

Strassenraum

  • Mit einer reduzierten Geschwindigkeit lassen sich Strassenräume neu gestalten. Die verschiedenen Verkehrsträger sollen sich auf Augenhöhe begegnen, die Aufenthaltsqualität im Strassenraum wird besser.

Verkehrskultur

  • Im letzten Jahrhundert galt eine Verkehrskultur, die von einer Hierarchie ausging, bei der das Auto Vorrang hatte und sich alle anderen (Velo, Bus, Fussgänger*innen ) dem Auto unterordneten. Neu wollen wir eine Kultur der Gleichberechtigung, Begegnung auf Augenhöhe.

Attraktivität Auto

  • Die Bürgerlichen befürchten, Autofahren sei mit Tempo 30 weniger attraktiv. Das ist nicht nachvollziehbar, ausser man geht von der Verkehrskultur des letzten Jahrhunderts aus.
  • Tempo 30 schränkt die Erreichbarkeit mit dem Auto nicht ein.
  • Hingegen wird durch Tempo 30 Velofahren, zu Fuss gehen etc. attraktiver, was hinsichtlich unseres Modalsplit-Ziels dringend nötig ist.
  • Die Bürgerlichen beanspruchen, die Stimme der Autofahrer*innen zu sein. Es gibt aber sehr viele, die ab und zu mit dem Auto unterwegs sind, die eine gleichberechtigte Mobilitätskultur begrüssen.

Rechtliche Grundlage

  • Die Bürgerlichen behaupten, die Stadt habe keine rechtliche Grundlage für Temporeduktionen auf überkommunalen Strassen. Das stimmt nicht. Im Gegensatz zu den anderen Gemeinden können die Städte Zürich und Winterthur auch auf überkommunalen Strassen selber planen und Verkehrsanordnungen verfügen (§27 der Kantonalen Signalisationsverordnung). Gegen Verkehrsanordnungen kann rekurriert werden und bei überkommunalen Strassen müssen wir jeweils die Genehmigung des Kantons einholen.