Winterthur gemeinsam

Ich freue mich sehr, im kommenden Jahr das Winterthurer Stadtparlament zu leiten. Ich möchte mich bei all denen bedanken, die mich auf meinem bisherigen Weg begleitet haben, und es mir damit überhaupt erst ermöglicht haben, mich für dieses Amt zur Verfügung zu stellen.

Winterthur gemeinsam …, das ist mein Wunsch und mein Ziel für mein Amtsjahr. Ich bin überzeugt, dass wir es nur gemeinsam schaffen werden, diese Stadt weiterzubringen Das letzte Jahr hat uns besonders eindrücklich gezeigt, wie wichtig das Gemeinsame ist, gerade wenn die äusseren Umstände schwierig sind.

 

Gemeinsam heisst aber nicht, immer einer Meinung zu sein – im Gegenteil. Es gehört für mich zur Essenz der politischen Auseinandersetzung, dass wir unsere unterschiedlichen Meinungen und Haltungen in der Diskussion vertreten. Und ich finde es genauso wichtig, dass diese Debatten auch hart und kontrovers geführt werden dürfen, wenn es notwendig ist. Denn schlussendlich wird es uns nur so möglich sein, tragfähige und zukunftsorientierte Lösungen für diese, für unsere, Stadt zu entwickeln.

 

Dass dies möglich ist, hat sich bereits vor 100 Jahren gezeigt, als sich die Stadt Winterthur mit ihren fünf Aussenbezirken vereinigt hat. Auch dieser Vereinigung gingen lange und zähe Verhandlungen voraus. Und es brauchte mehr als einen Anlauf, bis eine mehrheitsfähige Lösung entstanden ist. Für diese Lösung haben sich zuerst die verschiedenen Aussenquartiere zusammenschliessen müssen. Aber auch die politischen Parteien mussten sich im Kantonsrat gemeinsam dafür einsetzen, dass eine solche Lösung möglich wurde. Schliesslich raufte sich auch die damals eingesetzte Abgeordnetenversammlung trotz grosser Differenzen zusammen, um einstimmig dem Stimmvolk einen Entwurf über eine neue Gemeindeordnung vorlegen zu können.

 

Vor zehn Jahren habe ich selber eindrücklich erlebt, wie wichtig es ist, gemeinsam für eine Sache einzustehen. Damals war ich für einige Monate als Menschenrechtsbeobachterin in Kolumbien unterwegs und begleitete zwei Bauerngemeinschaften, die von Landvertreibung bedroht waren. Eine der beiden Dorfgemeinschaften war kurz zuvor zum wiederholten Mal auf ihr Land zurückgekehrt, dass sie bereits seit Jahrzehnten bewirtschafteten und von welchem sie trotz anderslautender Gesetze mehrfach gewaltsam vertrieben worden sind.

Selbstverständlich gab es auch in dieser Gemeinschaft Meinungsverschiedenheiten, selbstverständlich war es nicht immer einfach, gemeinsam eine Haltung zu entwickeln, selbstverständlich gab es auch persönliche Konflikte unter den Gemeindemitgliedern. Aber genau deshalb, und das hat mich so besonders beeindruckt, hat sich die Gemeinde von Beginn an zu klaren Regeln für das Zusammenleben und dem weiteren Kampf für ihr Recht entschieden. Und so sind jeden Sonntag alle Mitglieder dieser Bauerngemeinde zusammengekommen und haben die weiteren Schritte, aber auch die Konflikte und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gemeinschaft zusammen ausdiskutiert und geklärt. Diese Treffen waren für alle Beteiligten, auch für mich als aussenstehende Beobachterin, oft anstrengend und ermüdend, haben sie doch meist mehrere Stunden gedauert. Aber ich bin davon überzeugt, dass gerade das offene Aushandeln dieser Konflikte und Meinungsverschiedenheiten einen wichtigen Beitrag dazu geleistet hat, dass die Gemeinschaft sich nicht hat auseinanderdividieren lassen und inzwischen seit zehn Jahren wieder ihr Land bewirtschaften kann. Ich habe aus dieser Zeit sehr viel gelernt und gerade auch für meine politische Arbeit viele Erfahrungen daraus mitgenommen.

 

Als Ratspräsidentin habe ich mir vorgenommen, einige diese Erfahrungen auch in die gemeinsame parlamentarische Arbeit einfliessen zu lassen. Für mein Amtsjahr wünsche ich mir, dass wir auch die schwierigen Geschäfte und Meinungsverschiedenheiten in diesem Parlament austragen können. Wir werden uns auch am Schluss nicht immer einig sein. Und wir werden immer wieder Kompromisse eingehen müssen. Aber es gehört zu unseren Aufgaben als Parlamentarier:innen, uns den harten Auseinandersetzungen zu stellen, uns auch dort eine Meinung zu bilden, wo das nicht ganz einfach ist, und diese Auseinandersetzungen in den Kommissionsberatungen und Ratsdebatten auch auszutragen. Als Präsidentin des Grossen Gemeinderats sehe ich es als meine Aufgabe, soweit möglich die Rahmenbedingungen dazu zu bieten. Auch dieses Jahr stehen schwierige und kontroverse Geschäfte an. So werden wir uns neben der Parkplatzverordnung auch mit klimapolitischen Massnahmen und der Bewältigung der Covid-19-Krise beschäftigen.

 

Ich bin sicher, dass es uns gemeinsam gelingen kann, die einfachen und die schwierigen Geschäfte zu diskutieren und zu tragfähigen Beschlüssen zu kommen. Ich freue mich auf das kommende Jahr und die herausfordernde Parlamentsarbeit.